Keine WM für Stefanie Paul

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Kommentar von Jens Schwedler

Über das traurige Dasein des Cyclocross in Deutschland

Ich schreibe diese Zeilen anlässig eines Zeitungsartikels zur Teilnahme von Stefanie Paul, der auf der FB Seite der Radsport Gemeinschaft Hannover e.V. veröffentlicht wurde, sowie eines Artikels vom 27. Januar 2021 im „Sportbuzzer“.
Zusammengefasst: Stefanie Paul erhielt die WM-Nominierung nicht, obgleich sie mit einem Engagement in dieser Zeit für eine WM-Teilnahme gekämpft hat, das seinesgleichen sucht und nun final durch den Bund Deutscher Radfahrer derart abgestraft wird, das mir fast die Worte fehlen.
 
Ein hervorragender Zeitpunkt um die Situation des Cross-Sports und das Engagement hierfür einmal ins rechte Licht zu rücken. 
 
Der Cross-Sport in Deutschland führt seit Jahren ein Schatten-Dasein und das nicht nur seit den erfolgreichen Zeiten eines Mike Kluges oder Klaus Peter Thaler - immerhin beide Weltmeister 1985/87 - sondern auch in den jüngeren Jahren seit eines Philipp Walslebens, Weltmeister 2009 oder einer Hanka Kupfernagel, Weltmeisterin 2008. 
Immerhin war Deutschland mit dem Bund Deutscher Radfahrer mal eine erfolgreiche Cross-Nation und im internationalen Ranking immer noch auf Platz 4 mit 14 Gold, 18 Silber und 11 Bronze Medaillen bei Weltmeisterschaften.
 
Die Erfolgsgeschichte hätte man weiter schreiben können sowie unsere Nachbarn Belgien und die Niederlade, die genau in dieser Zeit die Weichen gestellt haben für eine erfolgreiche Entwicklung des Cross-Sports. Die Aussage des BDRs, der Cross-Sport ist nicht olympisch und damit nicht förderungswürdig, wird in den Nachbar-Nationen gänzlich anders gesehen. Hier wurde insbesondere auf die aufstrebende Disziplin Cyclocross gesetzt. In anderen Ländern wie den USA zieht man nach.
Weltweit haben sich die Fahrrad-Hersteller auf den Cyclocross Sport eingestellt und neue Cyclocross Räder entwickelt und gebaut. Genauso hat die UCI die Welt Cup Rennen auf den Kontinenten ausgebaut und es wurden die ersten Weltmeisterschaften in den USA ausgetragen. 
 
Belgien und die Niederlande haben am Crosspsport festgehalten und haben in den Jahren 2012/2013 Talente wie Mathieu van der Poel oder Wout van Aert Belgien - heute zwei Ausnahme-Athleten – hervor gebracht. Und wie sich zeigt, dominieren sie nicht nur den internationalen Cross, sondern bringen auch hervorragende Ergebnisse bei Straßen-Klassikern oder mit TDF Etappensiegen. 
 
Der BDR hat es nicht zuletzt versäumt in den Erfolgsjahren eines Philip Walslebens, Christoph Pfingsten, Marcel Meisen, Sascha Weber und Ole Quast (immerhin mit sehr guten Platzierungen bei Welt-Cup Rennen oder Siegen bei Weltmeisterschaften & Nationenwertungen) an diese Erfolge anzuschließen und den Sport weiter auszubauen.
 
Warum wurden diese Ergebnisse nicht genutzt, um den Cross-Sport zu fördern? Meiner Meinung nach ein klares Versäumnis des damaligen BDR Trainers in gleicher Person der heutige BDR Leistungssportdirektor. Warum man hier andere Prioritäten setzt, erschließt sich mir nicht. 
 
Vielleicht sollte man sich beim BDR einmal hinterfragen, ob der eingeschlagene Weg für den Cross-Sport noch zeitgemäß ist und warum man eine unter den Sportlern beliebte und für die Ausbildung junger Sportler wichtige Sportart derart verkümmern lässt?
Man verliert immer mehr Boden zu anderen Nationen. Man muss man nur mal nach Großbritannien schauen: hier kann man durch alle Disziplinen gehen und man findet z.B. einen Tom Pidcock - Weltmeister bei den Junioren und U23 im Cross -, der wie van Aert und van de Poel sehr erfolgreich auf der Straße fährt.
Beim BDR wird das Pferd von hinten aufgezäumt. Hier setzt man den Junioren-Sportlern seit Jahren die Pistole auf die Brust: entscheide Dich – Cross oder Straße. Beides geht nicht.
Hier könnte man sehr viele Namen aufzählen, die genau hier gescheitert sind: z.B. Silvio Hertklotz, Leo Appelt, Juri Hollmann, Tom Lindner oder Niklas Märkel. Wenn man diesen Sportler die Wahl gelassen hätte, ob sie weiterhin Cross fahren wollen, vielleicht hätte der BDR hier jetzt auch einen Weg für den Erfolg eines Pidcock, van der Poel oder van Aert geebnet? 
 
Man muss als Trainer oder als Leistungssportdirektor natürlich ein Ziel und dazu eine Strategie haben, um einen Weg zu gehen. Nach meinem Eindruck gibt es weder das eine noch das andere. Dabei halten sich Top-Straßensportler selbst im Winter mit den Cross-Sport fit und bereiten sich auf internationale Rennen vor. Um nur ein paar Namen zu erwähnen: Zdenek Stybar, Marianne Voss, Fabio Aru oder Heinrich Haussler.
 
Wenn man dann den Artikel liest über den schwierigen Weg einer Stefanie Paul, die sich nicht ausbremsen lässt, weder durch Corona noch durch die Steine die ihr seitens des Bund Deutschen Radfahrer in den Weg gelegt werden, fragt man sich als begeisterter Cross-Sportler: wie hoch muss das Engagement einer Sportlerin noch sein, bis der BDR dies erkennt und auch einmal Einsatz zeigt? Selbst wenn es kein top ten Ergebnis werden sollte – warum wird eine Sportlerin nicht nominiert, selbst wenn sie zu allen notwendigen Rennen vorab in Eigenregie gereist ist und dies auch bei der WM tun würde? Dieser ganze Fall ist mehr als ein Armutszeugnis.
 
17 andere Verbände schaffen es, SportlerInnen in 4 Klassen bei der WM am kommenden Wochenende in Ostende an den Start zu stellen. Trotz Corona und auch wenn Cross nicht olympisch ist. Wie soll ein Sport sich vor Sponsoren & Co. behaupten, wenn jegliches Engagement ins Leere läuft?
 
Außerdem unterscheidet der BDR scheinbar zwischen Elite-Männern und Elite-Damen. 
Wie ist es sonst zu erklären, dass bei ähnlichen Ergebnissen ein Mann bei einer WM starten darf und die Frauen nicht. 
 
Ich möchte hier nicht persönlich werden. Ich bin leidenschaftlicher Cross-Sportler und begleite den Cross-Sport seit Jahren als Sportler und Trainer und habe seit 1987 einige BDR-Trainer auf diesem Wege kennengelernt. Das „Engagement“ für den Cross-Sport hat aber mittlerweile ein Level erreicht – tiefer war es zumindest in der Zeit an die ich mich erinnere noch nie. 
 
 
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