Interview Jolanda Neff und Evie Richards

Pressemitteilung Nr. 0000/2022 vom 29.04.2022

 

Jolanda Neff und Evie Richards im Fokus: Die Olympiasiegerin und die Weltmeisterin wollen in Albstadt angreifen

 

Es gibt viele Stars und Persönlichkeiten in der Mountainbike-Szene. Eine Minderheit stellen jedoch die dar, die permanent in der Öffentlichkeit stehen und auch die Boulevardblätter füllen. Doch bei Jolanda Neff und Evie Richards sieht das anders aus: Die Schweizerin und die Britin sind nicht erst seit ihren großen Erfolgen im Vorjahr in den Fokus der Medienwelt gerückt, sondern schon seit einigen Jahren im Blickpunkt der internationalen Journalisten. Das sympathische Duo, das beim Trek Factory Racing Team unter Vertrag steht, hat sich diesen Status jedoch hart erarbeitet und erreichten beide 2021 jeweils den persönlichen sportlichen Höhepunkt: Neff wurde Olympiasiegerin, Richards triumphierte bei der WM. Natürlich wollen die Beiden auch beim Mercedes Benz UCI Mountain Bike World Cup in Albstadt wieder voll angreifen. Wir konnten uns mit dem Duo im Vorfeld unterhalten. 

Jolanda Neff: „Die ganze Schweiz hat dieses Rennen verfolgt und jeder wollte danach etwas von mir“

Jolanda Neff ist zweifelsohne eine der besten Mountainbikerinnen dieses Planeten. Spätestens seit ihrem Olympiasieg im vergangenen Jahr steht die Schweizerin auf einer Stufe mit Legenden wie etwa Gunn-Rita Dahle-Flesjaa. Dabei war der Weg zu diesem Triumph nicht geradlinig, sondern geprägt von Auf und Ab. Doch Neff behielt sich eine Lockerheit und Sympathie bei, die sie einerseits auf den sportlichen Olymp hievte und ihr andererseits große Beliebtheit bei den Fans einbrachte. 

Die 29-Jährige begann im Alter von sechs Jahren Rennen zu fahren und stellte schon früh ihr großes Talent unter Beweis. Bei internationalen Wettkämpfen mischte sie in der Jugend stets an der Spitze mit und galt bei der Heim-WM in Champéry 2011 als Favoritin auf den Sieg in der Juniorenklasse. Am Ende wurde es Platz vier und die erhoffte Medaille wurde verpasst. Woran andere unter Umständen verzweifeln würden, zog Jolanda Neff daraus Motivation für die kommende Saison. In der U23-Klasse fuhr sie 2012 dann allen davon. Und das im jüngsten Jahrgang wohlgemerkt. Die logische Konsequenz: Neff wurde in Saalfelden Weltmeisterin der Nachwuchsklasse. Bemerkenswert ist dabei, dass die im Kanton St. Gallen lebende Schweizerin nie ein Sportinternat oder ähnliches besucht hatte und erst mit 19 Jahren die Entscheidung getroffen hat, den Sport mit höchster Professionalität zu betreiben.  

Nach der starken Saison 2012 ging es für Neff dann vorläufig nur aufwärts. 2013 wurde sie ein weiteres Mal U23-Weltmeisterin, 2014 gewann sie als jüngste Mountainbikerin der Geschichte den Gesamtweltcup in der Eliteklasse, 2015 wurde sie Europameisterin, triumphierte bei den European Games in Baku und verbuchte ein weiteres Mal den Weltcupgesamtsieg. 2016 sollte dann ihr Jahr werden - doch ausgerechnet bei den Olympischen Spielen in Rio konnte Neff nicht mehr ganz an die Erfolge der Vorjahre anknüpfen und belegte schließlich Rang sechs. Immerhin: Kurz vor den Titelkämpfen an der Copacabana sicherte sie sich den Marathon-WM-Titel.

Trotz der verpassten Olympiamedaille schaltete Neff in der Folge wieder in den Angriffsmodus. 2017 wurde sie Weltmeisterin, 2018 Weltcupgesamtsiegerin, 2019 Vizeweltmeisterin. Bei all den internationalen Erfolgen wurde sie bis heute stolze acht Mal Schweizer Meisterin in der Elite.

Nach der Saison 2019 ging der Blick von Neff Richtung Olympische Spiele in Tokio, doch das Ziel, dort Gold zu gewinnen, erhielt einen dramatischen Dämpfer. Bei einem Trainingssturz in den USA zog sie sich unter anderem einen Milzriss zu und musste viel Zeit und Energie in die Reha stecken. Grundsätzlich blieb die Schweizerin in ihrer Karriere von Verletzungen nicht verschont, doch Neff kämpfte sich immer wieder zurück und bewies auch mentale Stärke. Heute gilt sie als die fahrtechnisch beste Fahrerin im Damenfeld. 

Der Höhepunkt folgte dann im vergangenen Sommer, als Neff olympisches Gold gewann und sich damit einen Kindheitstraum erfüllte. Die Trek-Fahrerin siegte vor ihren Landsfrauen Sina Frei und Linda Indergand. 

Anmerkung: Wir konnten uns mit Jolanda Neff kurz nach dem ersten Saisonrennen in Chelva unterhalten. In der Zwischenzeit stand sie unter anderem beim Bundesligarennen in Obergessertshausen und beim CIMTB Michelin Cup in Petropolis am Start. Das Rennen in Brasilien konnte sie mit über sechs Minuten (!) Vorsprung für sich entscheiden. Beim Weltcupauftakt – ebenfalls in Petropolis – musste sie krankheitsbedingt auf einen Start verzichten. 

Hi Jolanda! Glückwunsch zum ersten Sieg in diesem Jahr in Chelva. Wir nehmen an, du bist super happy mit dem Saisoneinstieg? Wie bist du bislang durch den Winter gekommen?

Hallo erstmal! Danke, ja, ich hatte in der Tat einen wirklich schönen und guten Winter. Ich hatte Zeit, nach der Wahnsinns-Saison 2021 etwas herunterzufahren und alles ein bisschen zu verarbeiten. Ich konnte gut trainieren und freue mich wirklich auf die neue Saison. 

Das erste Rennen ist immer ein großes Fragezeichen für mich und daher war es umso schöner, gleich mit einem Sieg starten zu können. Das Gefühl war richtig gut, ich hatte viel Spaß und konnte gleich auch noch Selbstvertrauen tanken.

Wie war die Vorbereitung für diese Saison als Olympiasiegerin? War das stressiger, weil deutlich mehr (Medien-)Termine anstanden oder konntest du es sogar genießen nach der letzten Saison?

Der Sommer 2021, also die Tage und vor allem Wochen direkt nach dem Olympiasieg, waren eine unglaubliche Herausforderung. Das kann man sich wohl kaum vorstellen, wenn man es nicht am eigenen Leib erfährt. Es ist noch zwanzigmal größer als das, was abgeht, wenn man eine WM gewinnt. Die ganze Schweiz hat dieses Rennen verfolgt und jeder wollte danach etwas von mir. Einerseits ist das sehr schön, andererseits ging unsere Saison ja noch weiter und ich wollte meine super Form aus Tokio so gerne in den Saisonabschluss mitnehmen. Daraus wurde dann leider nichts, weil mich diese Welle regelrecht überrollt hat.

Der Winter war dann für mich endlich mal ein Zeitraum, um abzuschalten und Zeit für mich zu haben. Jetzt freue ich mich auf die neue Saison und habe auch wieder mehr Erfahrung, wie ich mit all den Anfragen und Verpflichtungen hoffentlich besser umgehen kann. Am meisten Freude macht es mir nach wie vor, Mountainbike zu fahren und nicht Interviews zu geben. Darum möchte ich darauf den Fokus behalten (lacht).

Bleiben wir kurz beim Thema Olympia: Du hast dir wenige Wochen vor dem Rennen in Tokio die Hand gebrochen (in Leogang). Wir können uns vorstellen, dass das für deine Ambitionen bei den Olympischen Spielen erstmal ein Dämpfer war. Wie hast du es geschafft, das mental derart gut wegzustecken, um dich recht schnell wieder aufs Training und deine Ziele zu fokussieren?

Einerseits hat es mir in dieser Situation bestimmt geholfen, dass ich schon zig Verletzungen in meiner Karriere mitgemacht habe und mittlerweile in etwa weiß, was ich vom Heilungsprozess erwarten kann und wie ich gut weiter trainieren kann. Hier konnte ich quasi mein gesamtes angesammeltes Wissen einsetzen, um es hart zu formulieren. Wer hätte gedacht, dass mir das einmal noch so zugutekommen wird (lacht).

Andererseits habe ich während dem Rennen in Leogang gespürt, dass meine Form zurückkommt. Ich war auf Position zwei liegend in einem XCO-Weltcup-Rennen und habe mich super gefühlt. Das hat mir extrem Zuversicht gegeben. Ich wusste, dass ich auf dem aufsteigenden Ast bin.

Welche Rolle spielte bei all dem der schlimme Sturz Ende 2019 in den USA? Hast du daraus eventuell das Selbstvertrauen und das Wissen gezogen, dass du sehr stark zurückkommen kannst?

Wie schon angesprochen konnte ich davon bestimmt viel mitnehmen – auch für diese Situation. Man muss aber schon festhalten, dass die Verletzung in Leogang ganz anderer Art war als im Dezember 2019 – viel weniger schlimm. „Nur gebrochene Knochen“. Das ist ja vergleichsweise schön, habe ich gedacht.

Das olympische Rennen lief zumindest von außen betrachtet fast komplett nach Plan. Was war aus deiner Sicht der Schlüssel zum Erfolg? War es zum Beispiel deine fahrtechnische Klasse?

Meine Technik hat mir enorm geholfen. Zudem liebe ich steile Aufstiege, weil man da eben auch Technik auf dem Rad braucht, um überhaupt effizient hochzukommen. Die Strecke war mir wie auf den Leib geschneidert. Schon beim Testrennen 2019 (Anmerkung: Letztes Rennen vor dem schweren Sturz in den USA) habe ich mich augenblicklich wohl gefühlt und konnte das Rennen mit Leichtigkeit gewinnen. Es war schon lustig, dass dann das Olympiarennen in Tokio wieder mein erstes internationales Rennen seit meinem Sturz war, das ich gewinnen konnte. Es muss hier wohl eine magische Verbindung geben (lacht).

Du, Sina und Linda habt natürlich richtig abgeräumt mit Gold, Silber und Bronze! Was ist das Erfolgsrezept der Schweizer? Von außen betrachtet habt ihr eine super Stimmung im Team. Ist es ein Mix aus gutem Teamgefüge und einem enorm hohen Niveau, auf dem ihr euch bewegt? Ihr pusht euch so sicherlich auch gegenseitig …

Der Schlüssel zum Erfolg ist sicher Edi Telser, unser Nationaltrainer. Zusammen mit Oscar Saiz, unserem spezifischen Techniktrainer, arbeiten wir bereits seit Jahren intensiv zusammen. Edi kümmert sich um alles und hilft jedem, den nächsten Schritt zu machen. Er findet hier wirklich jedes Detail, an dem sich noch arbeiten lässt und motiviert uns mit seiner Leidenschaft.

Werfen wir den Blick einmal nach vorne: So wie wir dich kennen, wirst du dich trotz des Olympiasiegs 2022 sicher nicht entspannt zurücklehnen. Was sind deine Ziele für die kommende Saison?

Da kennst du mich aber gut (lacht). Genauso ist es. Ich freue mich riesig auf die Saison 2022. Die Zahl 22 war schon mein Leben lang meine Lieblingszahl, schon in der Primarschule. Ich habe T-Shirts und Tassen und alles möglich mit der Zahl 22. Wieso genau, weiß ich eigentlich auch nicht mehr. Die Zahl hat mir einfach schon immer gefallen. Und jetzt sind wir im Jahr 22 – wie cool ist das denn? Also ja, ich freue mich auf dieses Jahr. Meine Ziele sind der Weltcup und die Weltmeisterschaften. 

 

 

Aus deutscher Sicht interessieren uns natürlich auch deine Ambitionen für den Weltcup in Albstadt. Sehen wir dich im Mai dort ganz oben auf dem Podium?

Oh, das wäre so schön. Albstadt ist eines meiner liebsten Rennen. Die Strecke finde ich genial, auch wenn sie von den anderen Fahrerinnen und Fahrern meist nicht so geliebt wird, weil die Aufstiege so steil sind. Aber genau das finde ich so toll! Mir liegt das total. Ich konnte in Albstadt 2015 und 2018 gewinnen. Da wir ja im Jahr 2020 kein Rennen hatten, wären nun wieder drei Editionen rum und wieder mal Zeit für einen Jolanda-Sieg (lacht).

Wir können uns vorstellen, dass mit dem Olympiasieg ein großer Lebenstraum in Erfüllung ging. Abschließend kurz weg vom Radsport: Was sind weitere große Ziele oder Wünsche von dir abseits des Mountainbikens?

Das ist eine gute Frage. Das habe ich mich in letzter Zeit auch manchmal gefragt, aber ich muss sagen, es gab keine eindeutige Antwort. Aber ich glaube, das ist auch gut so, denn das nehme ich als Zeichen, dass mir das Mountainbiken immer noch so viel Spaß macht und meine Ziele so klar in diesem Bereich liegen, dass sich kein Teil von meinem Hirn abkoppeln will und schon mit was Anderem befasst. Je klarer der Fokus, desto größer der Energiefluss. Daher liegt mein Fokus im Moment noch voll auf dem Mountainbiken und ich genieße es. Wer weiß, wie lange ich noch gesund bin und den Sport so ausüben kann. Ich genieße jeden Moment!

Vielen Dank dir! Wir wünschen dir alles Gute für die Saison!

Vielen Dank dir!

Evie Richards: „Nicht in einer Million Jahre dachte ich, dass das jetzt passieren würde!“

Der 28. August 2021 geht in die Geschichtsbücher des Mountainbikes ein. Warum? – Aus zwei Gründen: Zum einen wurde an jenem Tag Evie Richards eine der jüngsten Weltmeisterinnen überhaupt, zum anderen war der Sieg gleichbedeutend mit dem ersten britischen Weltmeistertitel in der Cross-Country-Disziplin. Spannen wir an dieser Stelle den Bogen zu Jolanda Neff, die wir zuvor ausführlich vorgestellt haben, dann lassen sich in den Karrieren der beiden sympathischen Sportlerinnen einige Parallelen feststellen, die aufzeigen, dass der Weg zum ganz großen Erfolg alles andere als einfach ist.

Richards stammt aus Malvern, das im Westen Englands liegt. Die heute 25-Jährige verfolgte schon früh das Ziel, eines Tages bei den Olympischen Spielen am Start zu stehen. Viele Sportarten habe sie ausprobiert, erzählte sie einst in einem Interview bei Pinkbike. Schlussendlich blieb sie beim Hockey hängen und auf der Suche nach einer Ausgleichssportart, mit der sie sich im Winter fit halten konnte, fand sie den Weg zum Radsport. Die Erfolge kamen unerwartet, waren allerdings äußerst beachtlich: 2014 trat sie bei der Junioren-WM in Hafjell (Norwegen) auf Platz sechs erstmals international in Erscheinung. Spezialisiert hatte sie sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf diesen Sport.

Mit weiteren starken Ergebnissen und der damit verbundenen Möglichkeit, die Welt zu bereisen und zu entdecken, fiel es Richards schließlich leicht, das Mountainbiken professioneller zu betreiben. 2015 wurde sie schließlich Vizeweltmeisterin bei den Juniorinnen, 2016 überzeugte sie im U23-Weltcup – unter anderem mit Platz zwei beim Rennen im Albstädter Bullentäle – und mit dem U23-Weltmeistertitel im Cyclocross. Der Weg für eine erfolgreiche Karriere war damit geebnet.

2017 unterschieb die Britin ihren ersten Profivertrag bei Trek, einem Branchenriesen, der beste Voraussetzungen schafft, um auch zukünftig auf dem allerhöchstens Niveau unterwegs sein zu können. Gleichzeitig mischten sich in die Reihe der Erfolge aber auch immer wieder größere Enttäuschungen. Im Cyclocross ließ Richards zwar immer wieder aufhorchen, im Cross-Country-Weltcup konnte sie die hohen Erwartungen, die durch ihre starken Auftritte in der Vergangenheit aufkamen, nicht immer erfüllen. 

Nach den ersten großen Erfolgen im U23-Weltcup zog sie nach Manchester, um sich weiter zu professionalisieren. Doch daraus wurde nichts wie sie im Nachgang unter anderem bei Pinkbike berichtete. Krank habe sie sich während der Rennen und im Training gefühlt, gepaart mit einer unglaublichen Nervosität, die für sie nicht einzuordnen war.  

Sie arbeitete akribisch, verzichtete auf Sozialkontakte, trainierte mehr als ihr die Trainer anordneten und versuchte ständig, Gewicht zu verlieren. Erst eine schwere Verletzung am Knie sorgte für einen Wendepunkt in ihrer Karriere, den sie als entscheidend für ihre heutigen Erfolge aufführt. Richards war gezwungen, das Bike in die Ecke zu stellen und musste sich Zeit für die Genesung geben. Von nun an arbeitete sie mit einem Psychologen zusammen, der auch eine Erklärung für ihre Übelkeit und Nervosität in und um die Rennen fand – Ängste, die die junge Britin beim Fahren der Rennen massiv beeinflussten.

In der Folge ging es für Richards wieder stetig bergauf. 2019 sicherte sie sich einen Sieg im U23-Weltcup, 2020 überraschte sie in der Elite, als sie die beiden Short Track-Rennen in Nove Mesto gewinnen konnte. Und im vergangen Jahr folgte dann die triumphale Fahrt zu WM-Gold im Val di Sole. 

Damit stehen mit Neff und Richards die amtierende Olympiasiegerin und die aktuelle Weltmeisterin bei Trek unter Vertrag – eine Konstellation, die auch alles andere als gewöhnlich ist. Hut ab, wer so ein Line-up besitzt! Geht es nach Trek und den Ambitionen von Richards, darf es in dieser Saison natürlich ebenso erfolgreich weitergehen.

Anmerkung: Wir konnten uns mit Evie Richards kurz nach dem Rennen in Chelva zu Beginn der Saison unterhalten. Zuvor stand sie beim Mediterranean Epic, einem mehrtägigen Etappenrennen, am Start, danach absolvierte sie unter anderem das hochdotierte HC-Rennen in Banyoles, das sie gewann. Beim Weltcupauftakt in Petropolis belegte sie im Short Track Rang drei, im XC-Rennen musste sie wie Neff aufgrund von Magen-Darm-Problemen auf einen Start verzichten.

Hallo Evie! Wie geht es dir? Du bist zuletzt in Chelva in die Saison gestartet, aber leider hast du in den Ergebnissen ein DNF stehen. Was ist passiert?

Ich bin in der Woche davor das Med Epic gefahren und habe nicht wirklich bedacht, wie sehr das meinen Körper belasten würde. Ich hatte keinen Physiotherapeuten mit zum Rennen genommen und mein Rücken hat richtig zugemacht, so dass ich zu Beginn des Rennens in Chelva so starke Schmerzen hatte, dass ich kaum in die Pedale treten konnte. Zum Glück hatten wir jetzt in Girona einen fantastischen Physio dabei, der das Problem rechtzeitig vor Banyoles behoben hat.

Du hattest 2021 ein grandioses Jahr und wurdest Weltmeisterin. Aber nach der Saison warst du auch ziemlich erschöpft wie du im Interview mit Pinkbike erzählt hast. Macht der Erfolg auch müde?

Durch Covid hatte ich seit zwei Jahren keine richtige Pause mehr. Ich hatte zwei MTB-Saisons und zwei Cross-Saisons hinter mir, dazu noch die Olympischen Spiele und ich wurde Weltmeisterin. Ich glaube, dass die Achterbahn der Gefühle eine entscheidende Rolle gespielt hat, dass ich so müde war. Aber auch aufgrund der ganzen Trainings und der Flüge hatte ich einfach einen gewissen Grad an Müdigkeit erreicht, bei dem mein Körper mir signalisierte, dass er sich ausruhen muss. 

Du hast schon früh gezeigt, dass du sehr talentiert bist. Trotzdem hattest du in der U23 immer wieder Höhen und Tiefen, so dass der Weg an die Weltspitze nicht ganz einfach war. Was war rückblickend der entscheidende Moment in deiner Karriere, der dich zur Weltmeisterin gemacht hat?

In meinen U23-Jahren hatte ich während der Rennen aufgrund von Angstzuständen mit Übelkeit zu kämpfen, was bedeutete, dass ich entweder auf dem Podium stand oder nicht ins Ziel kam. Als ich mir das Knie auskugelte, fing ich an, mit einem Psychologen zu arbeiten, der mir half, mit diesen Rennnerven umzugehen. Zudem habe ich jetzt einen Ernährungsberater, der mir geholfen hat, meine Periode zurückzubekommen und mich weiter zu professionalisieren. Zusätzlich begann ich mit zwei neuen Trainern zu arbeiten, die meine Sicht auf das Fahren völlig veränderten. Es war also nicht nur ein bestimmter Moment, sondern es waren Jahre, in denen ich all diese wunderbaren Menschen kennengelernt habe, die mir geholfen haben, meine Träume zu verwirklichen und mich nicht nur als Athletin sehen. 

Gehen wir nochmals auf die mentale Komponente ein. Du arbeitest wie erzählt mit einem Psychologen zusammen. Wie wichtig ist das für dich und deinen Erfolg?

Manchmal frage ich mich, ob ich immer noch Rennen fahren würde, wenn ich nicht Rich, meinen Psychologen, getroffen hätte. Er hat meine Einstellung zum Radsport völlig verändert und mir geholfen, auf und neben dem Rad ein fröhlicher Mensch zu sein. Ich arbeite alle zwei Wochen mit ihm zusammen, aber ein sehr wichtiger Teil dieser Treffen ist auch die Einbeziehung meines Trainers, damit wir alle zusammen ehrliche und offene Gespräche führen können, damit ich eine bessere Sportlerin und ein besserer Mensch werden kann.

Lass uns einen Blick auf die letzte Saison werfen: Du hast sicher davon geträumt, eines Tages Weltmeisterin zu werden. Hast du damit gerechnet, dass es schon 2021 so weit sein könnte?

Nein, ganz und gar nicht! (lacht) Ich habe in einem Interview mit Redbull gesagt, dass ich eines Tages, bevor ich aufhöre, Weltmeisterin sein werde. Aber ich hätte nicht in einer Million Jahren gedacht, dass ich jetzt schon Weltmeisterin sein werde (lacht).

Du hattest schon vor der WM 2021 starke Ergebnisse erzielt. Trotzdem warst du nicht die Top-Favoritin. War das ein Vorteil für dich oder hast du schon geschaut, wie die Konkurrenz drauf ist? Kannst du deine Konkurrentinnen vor einem Wettkampf komplett ausblenden?

Natürlich sind da all die anderen Damen gegen die ich antrete, aber die kann ich nicht kontrollieren. Ich kann nur kontrollieren, wie ich selbst fahre, also konzentriere ich mich voll auf mich. Aber natürlich: Wenn man als Underdog in ein Rennen geht, hat man viel weniger Druck. Auch die anderen Damen haben nicht erwartet, dass ich so stark bin, also konnte ich das Rennen viel freier gestalten, da alle Augen auf die Anderen gerichtet waren.

Schauen wir nach vorne: Du willst sicherlich wieder zu den schnellsten Frauen der Welt gehören. Was sind deine Ziele für diese Saison?

Mein Hauptziel sind die Weltmeisterschaften in diesem Jahr. Wenn ich das Regenbogentrikot einmal getragen habe, möchte ich es nie wieder ausziehen (lacht). Aber natürlich wäre es auch toll, einen Weltcup bzw. Short Track zu gewinnen!

Aus deutscher Sicht interessieren wir uns natürlich auch für deine Ambitionen beim Weltcup in Albstadt. 2017 hast du dort bereits in der U23 gewonnen. Was sind deine Ziele für dieses Jahr?

Abgesehen von den Weltmeisterschaften habe ich keine spezifischen Ziele für die einzelnen Weltcuprennen. Ich bin noch nie mit dem Ziel gefahren, eine bestimmte Position zu erreichen. Ich fahre mit dem Ziel, meine letzte Leistung zu verbessern. Allerdings würde ich gerne bei so vielen Weltcups wie möglich auf dem Podium stehen!

Abschließend auch an dich noch eine Frage, die den Radsport nicht direkt betrifft: Was sind deine Ziele neben der Wettkampfstrecke?

Ich mag ein einfaches Leben, ich fahre gerne Rad und verbringe Zeit mit den Menschen, die mir nahestehen. Mein größtes Ziel während des Rennens ist es, einfach nur glücklich zu sein. Ich denke, im Sport gibt es diese Mentalität des „Gewinnens um jeden Preis“, aber ich möchte andere junge Athletinnen und Athleten dazu inspirieren, dass sie die Besten der Welt sein können ohne ihre Freunde zu verlieren oder meilenweit von ihrer Familie wegzuziehen.

Vielen Dank, Evie!

Wer Jolanda Neff und Evie Richards live im Albstädter Bullentäle erleben möchte, kann sich jetzt Tickets auf www.reservix.de sichern. Mehr Informationen rund um den Mercedes-Benz UCI Mountain Bike World Cup und die Bikezone Albstadt gibt es auf www.bikezone-albstadt.de.