Albstadt 2021 Mercedes-Benz UCI Mountain Bike World Cup

Pauline Ferrand-Prévot und Jourdan Sarrou: Die Weltmeister blicken auf Albstadt

 

In kaum einer anderen Sportart besitzt der Weltmeistertitel eine so große Strahlkraft wie im Radsport: Über ein Jahr darf sich der Titeltragende die begehrten Regenbogenstreifen auf das Trikot heften. Nachdem die Weltmeisterschaften 2020 pandemiebedingt im Albstädter Bullentäle nicht stattfinden konnten, sicherten sich Pauline Ferrand-Prévot und Jordan Sarrou den Weltmeistertitel stattdessen im österreichischen Leogang. Was ist das Erfolgsrezept der beiden Ausnahmefahrer? Und wer steckt hinter diesen großen Namen?

Als im vergangenen Jahr die Absage der Weltmeisterschaften in Albstadt feststand, schien die Rennsaison in Anbetracht der unsicheren Pandemielage für einen Großteil der Fahrerinnen und Fahrer beendet. Doch Leogang (Österreich) erklärte sich kurzerhand bereit, die Titelkämpfe doch auszutragen. Im Spätherbst kamen die weltbesten Mountainbike-Athletinnen und -Athleten zusammen, um die begehrten Regenbogenstreifen neu zu vergeben. Unter äußerst widrigen Umständen, die auf starke Regenfälle im Vorfeld der Rennen zurückzuführen waren und einer insgesamt fordernden Strecke kam es schließlich zu französischen Festspielen: Nicht nur Sarrou und Ferrand-Prévot glänzten mit Gold, sondern auch Loana Lecomte (U23-Damen) sowie die Teamstaffel.

 

Mit einem Weltrekord in die Geschichtsbücher

Als Titelverteidigerin startete Pauline Ferrand-Prévot 2020 ins Damenrennen und lieferte eine beeindruckende Vorstellung: Ein regelrechter Start-Ziel-Sieg mit einem Vorsprung von mehr als drei Minuten auf die Zweitplatzierte Italienerin Eva Lechner sorgten eindrucksvoll für den bereits dritten Weltmeistertitel der Französin. Damit machte die 29-Jährige einmal mehr deutlich, welche Ausnahmestellung sie in der Szene einnimmt.

 

Die Französin glänzt jedoch nicht nur im Cross-Country: Bereits als Juniorenfahrerin war Ferrand-Prévot sowohl auf der Straße als auch im Gelände Weltmeisterin. 2015 gelang ihr als bisher einzige Frau weltweit, zeitgleich amtierende Titelträgerin in den Disziplinen Straße, Cyclocross und Mountainbike-Cross-Country zu sein. 2019 folgten die Weltmeistertitel in der Mountainbike-Marathon- und -Cross-Country-Disziplin, ehe Ferrand-Prevot ein Jahr später in Leogang erneut im Cross-Country zuschlug.

 

Der Radsport wird zum „Alptraum“ 

Diese Erfolgsgeschichte forderte jedoch ihren Preis: Eine gestiegene Erwartungshaltung, insbesondere der mediale Druck sorgten nach der triumphalen Saison 2015 mental für Blockaden. 2016 kam eine Verletzung hinzu nach der Ferrand-Prévot  nicht mehr an die Leistungen des Vorjahrs anknüpfen konnte. „Ich habe gelernt, dass du glücklich sein musst, um Leistung zu bringen. 2016 gab es diese Verletzung. Aber es war auch mental hart, nachdem ich diese drei Weltmeistertitel innerhalb eines Jahres gewonnen habe. In diesem Jahr war es kompliziert, damit fertig zu werden“, beschreibt es die Französin rückblickend.

Nach einer längeren Rennpause wagte sie sich schließlich zurück ins Wettkampfgeschehen und zeigte 2017 als Drittplatzierte der Weltmeisterschaften in der Cross-Country-Disziplin, dass mit ihr in der Weltspitze wieder zu rechnen ist. Doch einmal mehr wurde die Athletin durch eine komplizierte Arterienverletzung im Beckenbereich zurückgeworfen.

 

Zurück in der Erfolgsspur 

2019 zeigte die Formkurve für Ferrand-Prévot nach erfolgreicher Operation wiederum steil nach oben: WM-Triumph im kanadischen Mont-Sainte-Anne, 2020 die Titelverteidigung in Leogang, sodass Ferrand-Prévot in Albstadt 2021 im Regenbogentrikot unterwegs sein wird. Und der Leistungsdruck sowie die Favoritenrolle? Das sieht die Französin gelassen: „Ich tue, was ich tun muss, ohne darauf zu achten, was andere denken oder urteilen. Ich habe Zeit gebraucht, um diese Gelassenheit zu finden und mich nur auf das zu konzentrieren, was ich erwarte, anstatt auf das, was andere erwarten. Inzwischen weiß ich es wirklich zu schätzen, dass ich mir keine Gedanken über diese Art von Druck machen muss.“

 

Neben den Regenbogenstreifen wird sich Ferrand-Prévot in gänzlich neuem Dress in Albstadt präsentieren: Nach vielen Jahren bei der Koblenzer Radfirma Canyon wechselte die 29-Jährige ins Team ihres Lebensgefährten Julien Absalon, dem Absolute Absalon-BMC-Team. Ungeachtet der Pandemie laufe die Vorbereitung auf die Rennsaison mit Ziel der olympischen Goldmedaille in Tokio weitestgehend nach Plan: „Ich weiß, dass meine Form noch nicht bei 100 Prozent ist, aber das ist Teil des Prozesses. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich.“

 

Die Erwartungen für die Rennen in Albstadt kommentiert Ferrand-Prévot zurückhaltend: „Eigentlich freue ich mich hauptsächlich die ganzen Fahrerinnen und Fahrer aus der Rennszene wiederzutreffen und die Tatsache, dass eine neue Weltcupsaison starten kann. Ich habe nicht das Ziel in Albstadt zu dominieren, ich muss geduldig sein und diesen Zustand akzeptieren.“

 

Französische Überraschung in Leogang 

Während Pauline Ferrand-Prévot mit dem Regenbogentrikot bereits Erfahrungen sammeln konnte, bedeutet es für Jordan Sarrou Neuland. Sarrou ist zwar aufgrund konstanter Leistungen stets in der Weltspitze zu finden, hatte aber gegen den Schweizer Nino Schurter oder den Niederländer Mathieu van der Poel häufig das Nachsehen. Nicht so im vergangenen Jahr in Leogang, als der Franzose zu seinem ersten Weltmeistertitel fuhr.

 

Aufgewachsen im französischen Zentralmassiv verfolgte der junge Jordan Sarrou in seiner Kindheit die Wettkämpfe seines Cousins und startete daraufhin die eigene Radsportkarriere. Schon früh setzte er sich gegenüber der großen Konkurrenz in seinem Heimatland durch und schaffte in der U23-Klasse den Durchbruch zur Weltspitze. Als amtierender U23-Europameister gewann Sarrou 2014 das U23-Weltcuprennen im Albstädter Bullentäle und sicherte sich im Laufe der Saison auch den Gesamtweltcupsieg in der Nachwuchsklasse.

 

Beim Wechsel in die Elite zahlte der Franzose zunächst Lehrgeld, ehe er sich 2016 im Spitzenfeld etablieren konnte. Als Gesamtweltcupsiebter deutete sich das große Potenzial bereits an: 2017 und 2019 landete er jeweils auf dem fünften Rang der Weltserie und war siebenmal auf dem erweiterten Podium der besten fünf Fahrer. 2020 knüpfte er an diese Leistungen an, sicherte sich erstmalig in seiner Karriere den französischen Meistertitel und belegte im Vorfeld der Weltmeisterschaften beim Weltcup in Nove Mesto den sechsten Rang.

Der perfekte Tag im Matsch von Leogang 

Dementsprechend galt Sarrou bei den Weltmeisterschaften durchaus als möglicher Medaillenkandidat, aber nicht als Favorit auf den Weltmeistertitel. Doch kein anderer Fahrer kam letztlich mit den matschigen Bedingungen in Leogang so gut zurecht wie der 28-jährige Franzose. Nach verhaltenem Start schloss Sarrou die Lücke zum bis dato führenden Niederländer Milan Vader und startete eine beeindruckende Solofahrt, die mit dem Weltmeistertitel belohnt wurde.

 

Sarrou wird wie Ferrand-Prévot in Albstadt auf neues Material setzen: Nachdem er über viele Jahre hinweg Leader des Teams Absolute Absalon-BMC war, musste er diesen Platz nun zugunsten von niemand geringerem als Ferrand-Prévot räumen. Er schließt sich dem Werksteam der amerikanischen Traditionsmarke Specialized an und wird auf deren Trikot die Regenbogenfarben tragen. Das WM-Trikot sowie die damit verbundene Verantwortung sieht Sarrou dabei als Motivation: „Ich genieße es, die Streifen zu tragen und sehe das als Vorteil. Es hilft mir in harten Momenten im Training und Rennen. Es motiviert mich und verleiht mir sicherlich zusätzliche Kraft.“

 

„Ich bin zufrieden mit meiner Rennvorbereitung. Das Team und die Räder sind neu für mich dieses Jahr. Wir hatten eine gute Zeit, um die anstehenden Weltcuprennen mit einigen Trainingslagern und Testrennen vorzubereiten. Wir sind auf einem guten Weg und ich schaue sehr zuversichtlich auf den ersten Weltcupblock“, zeigt sich Sarrou mit seiner Vorbereitung zufrieden und schiebt auf die Rückfrage nach dem persönlich Ziel für den Weltcup in Albstadt angriffslustig hinterher: „Albstadt liegt mir sehr gut. Es ist mein erstes Saisonhighlight dieses Jahr. Ich will gewinnen.“

 

Das französische Erfolgskonzept

Die Erfolge der französischen Fahrerinnen und Fahrer kommen nicht unerwartet. Blickt man auf die jüngste Vergangenheit im Cross-Country-Weltcup, so fällt die zahlenmäßige Präsenz französischer Fahrerinnen und Fahrer im Spitzenfeld auf: Insgesamt fünf der besten zehn Fahrer des Gesamtweltcups 2019 kommen aus Frankreich. Bei den Damen konnte man sich 2020 beide Weltcupsiege sichern.

 

Wer nach den Gründen dieser Erfolgsgeschichte sucht stolpert schnell über das Konzept der Nachwuchsausbildung in Frankreich. Im Gegensatz zu anderen Nationen fokussiert der französische Radsportverband eine breite Ausbildung junger Fahrerinnen und Fahrer: Ob Downhill, Cross-Country oder auch die geschicklichkeitsorientierte Disziplin Trial – junge Athletinnen und Athleten werden in allen Disziplinen gleichermaßen ausgebildet. Beleg dieses erfolgreichen Konzepts sind Top-Stars wie etwa Jordan Sarrou.

 

Neben dem Ausbildungskonzept scheinen der Konkurrenzkampf und das Miteinander abseits der Rennen unter den Fahrerinnen und Fahrern Teil des französischen Gesamterfolgs zu sein: „Ich denke, es gibt eine spannende und positive Rivalität zwischen allen französischen Fahrern. Wenn einer Leistung bringt, inspiriert das die anderen und sie arbeiten daran, das Gleiche zu tun“, beantwortet Pauline Ferrand-Prévot die Frage, was die französischen Erfolge ausmache. Sie glaubt zudem, dass die vielen verschiedenen Wettkämpfe im Nachwuchsbereich junge Fahrerinnen und Fahrer, dazu animieren, den Sport auszuüben. „Wenn man jung ist, hat man die Möglichkeit, an vielen lokalen oder nationalen Wettkämpfen teilzunehmen. Wir haben sehr viele nationale Rennen und Meisterschaften, die sehr gut organisiert sind und zudem schönen Strecken besitzen. Das ist auch eine große Motivation.“ Auf die Frage nach dem Geheimnis der Franzosen antwortet Sarrou: „Wir haben keine Geheimnisse oder gar einen Zaubertrank. Wir haben ein starkes französisches Team mit starken Fahrern und einer guten Atmosphäre. Wir sind Rivalen im Rennen, aber Freunde außerhalb.“