Interview Klaus-Peter Thaler

Eine Legende im Querfeldeinradsport, 5facher Weltmeister im Amateur- und Profi-Querfeldeinrennsport, 16facher deutscher Meister und Vorbild für viele Nachwuchssportler (so auch für mich, damals U17 Fahrer). 1985 feierte er nach zwei Jahren als Bundestrainer ein triumphales Comeback auf der Rennstrecke, als er nach einem zweiten Platz bei der Deutschen Meisterschaft anschließend bei der Weltmeisterschaft in München sensationell den Titel holte. Grund genug, einmal nach zu fragen: wie war es damals, wie ist es heute... Im Moment engagiert er sich hauptsächlich im Motorsport und für seine Firma Thaler-Sports. Dort lässt er seine Radsporterfahrungen direkt in die Sportbekleidungsmarke Protective einfließen.

CX-Sport: Wie findest du Trend zu teilweise flacheren, schnelleren Strecken? Als begnadeter Techniker hättest du dir so etwas früher öfter gewünscht, oder? Die Laufwettbewerbe der Vergangenheit a la Saccolongo haben meiner Meinung nach dem Image des Crosssports sehr geschadet. Noch heute verbinden viele mit einem Querfeldeinfahrer, einen Sportler der mit geschultertem Rad über ein Feld läuft. Wie siehst du das?
Klaus-Peter: Ich war immer ein Verfechter von Querfeldeinrennen, die Radsport demonstrierten. Laufen gehörte auch dazu, sollte sich aber nur auf einige Passagen konzentrieren, die mit dem Rad nicht zu bewältigen sind. Dies wurde gerade bei einigen Weltmeisterschaften nicht umgesetzt. Saccolongo war eine Unverschämtheit und ich habe dem Veranstalter schon weit vor dem Rennen im Herbst gesagt, dass die Strecke bei Regen unbefahrbar wird. Das hat man mir nicht geglaubt. In Lembeek 1986 Belgien bin ich aus Protest nicht gestartet und Roland Liboton sagte, nachdem er ausgestiegen war, ich hätte richtig  gehandelt. Nur hatte er nicht den Mut, im Vorfeld etwas dazu zu sagen. 2 Jahre später in Hägendorf  Schweiz), meiner letzten WM, war es dann das gleiche Spiel. Ich protestierte gegen eine WM, die durch Laufen entschieden wurde und nichts mit Rad-Cross zu tun hatte. Leider bin ich gestartet und dann ausgestiegen. Zuschauer pöbelten mich an: Thaler, sollen wir Dir die Strecke asphaltieren.
In den letzten Jahren sieht man zum Glück Crossrennen, die viel Dynamik haben, wo in Gruppen gekämpft wird und Fahrtechnik gefordert ist. Interessanter Sport, der dem Publikum hervorragend verkauft werden kann.

CX-Sport: Was muss passieren, damit der Crossport in Deutschland weiter nach vorne kommt? Die aktiven Fahrer wünschen sich mehr Unterstützung des Verbandes, was angesichts leerer Kassen nicht so einfach ist.
Klaus-Peter: Wichtig ist, dass wir Fahrer/innen haben, die international vorne mitfahren. Dies haben wir in den letzten Jahren mit einigen wenigen Sportlern geschafft. Dann müssen die Medien, vor allem das Fernsehen, mobilisiert werden. Zu meiner Zeit wurden noch Cross-Rennen in der Sportschau gezeigt. Dies ist heute kaum noch der Fall und durch die Dopingdiskussion, die leider nur auf dem Rücken des Radsports geführt wird, kann man des Fernsehen kaum bewegen, ein Crossrennen zu übertragen. Bei der WM bringt man die Topergebnisse unsere Sportler, der Sport findet aber immer mehr im Ausland statt.
 
CX-Sport: Warum ist CX in Belgien und den Niederlanden so populär?
Klaus-Peter: Weil das „Veldrijden“ dort eine lange durchgehende Tradition hat. Pro Nation konnten immer nur vier Fahrer bei WMs an den Start gehen. Belgier, Holländer und Schweizer hätten bis zu 10 Topfahrer schicken können. Wir Deutschen konnten das Kontingent oft bei den Profis nicht ausnutzen. Außerdem steht die Bevölkerung mehr hinter dem Radsport incl. Crosssport. Ich habe zu meiner Zeit Damen gesehen, die mit ihrem Ehemann im Mercedes der S-Klasse zu Rennen kamen, die Gummistiefel aus dem Kofferraum holten und auf ein schlammiges Feld gingen, um das Crossrennen anzuschauen!

CX-Sport: Wie steht's heute um deine Fahrkünste auf dem Rad, im Langstreckenpokal des Nürburgrings liest man den Namen  Klaus-Peter Thaler ja öfter.
Klaus-Peter: Ok, Autofahren hat zwar auch viel mit Gefühl zu tun, ist aber nicht zu vergleichen. Gute Fahrtechnik auf dem Rad verlernt man nicht. Ich denke, dass ich auch noch heute recht schnell durchs Gelände düse. Bei MTB-Rennen (Ronda Extrema beim Gardasee-Festival oder Marathon in Willingen) wundert mich immer wieder, wie viel Zeit ich in technisch schwierigen Passagen gut machen kann.
 
CX-Sport: Wie intensiv verfolgst du die Crossszene? Im Vorgespräch hast du ausgedrückt, dass dir eine bessere Positionierung des Crosssports am Herzen liegt. Besuchst du CX-Rennen ?
Klaus-Peter: Leider sind in der Nähe wenig Crossrennen. Also lese ich im Radsport oder verfolge im Internet die Ergebnisse. Im Fernsehen kommt leider viel zu wenig.
 
CX-Sport: Du hast Straße und Cross auf Weltklasseniveau betrieben. Heute sind viele Fahrer/Trainer der Meinung, dass man sich konzentrieren muss. Wie war deine Periodisierung damals? Sind  die Fahrer  heute zu weich-faul, oder ist es eine Sache des Kopfes, der Einstellung?
Klaus-Peter: Zu unserer Zeit (bis Ende der 80er etwa) war die Straßensaison auf die Monate Mitte Februar bis Mitte Oktober verteilt. Viele gute Straßenfahrer (Merckx, Hinault, Baronchelli, Saroni etc.) sah man auch bei Crossrennen am Start, a) um Geld zu verdienen und b) um im Winter Konditions- und Techniktraining zu machen. Nur wenige Fahrer fuhren beide Disziplinen mit Erfolg. Dies war vor allem mein Lehrer Rolf Wolfshohl,aber auch Fahrer wie Raimund Dietzen, Roger Devlaminck, Albert Zweifel und Hennie Stamsnijder.
Heute sind die Straßenrennen härter und schneller geworden, die neue Saison beginnt schon im Dezember und im März sind Fahrer schon in Topform. Man muß heute eine ganz andere Periodisierung haben als früher, sich konzentrieren auf ein oder mehrere Highlights der Saison. Da bleibt kein Platz mehr für Stippvistiten im Crosssport. Obwohl es vielen Rennfahrern gut täte in Hinblick auf Technikschulung. Es hat nichts zu tun mit „weich oder faul“. Nach einer heutigen Straßensaison auch noch Cross zu fahren, dazu hätte ich vielleicht auch keinen Bock mehr. Auf der anderen Seite ist es für einen Crosser schwierig, in ein gutes Straßenteam zu kommen. Früher hielten sich die Teams auch Crosser für die Sportübertragungen im Winter. Da kam der Cross-WM-Titel auch direkt hinter dem Straßentitel von der Wertigkeit her.
 
CX-Sport: Ich erinnere mich an ein Rennen in Lohmar, ich fuhr mit dicken Noppen, rutschte trotzdem dauernd im tiefen Matsch. Du fuhrst mit diamantierten Reifen und hast gewonnen. Erkläre es mir, Du erinnerst Dich sicher genau. Es ist erst 30 Jahre her.
Klaus-Peter: Die Fahrtechnik muß man sich aneignen und man muss ein gewisses Talent haben. Wenn ich sehe, was einige Leute auf MTB abziehen, dann waren unsere Crosser-Künste doch eher bescheiden. Auf glattem, sandigem oder holprigem Untergrund muss man ein gutes Balancegefühl haben und das Rad unter dem Hintern tanzen lassen. So was lernt man z.B., wenn man mit Wolfshohl am Ende des Trainings gegen 17 Uhr durch den halbdunklen Königsforst fährt und erst auf die Wurzeln reagieren kann, wenn der Schlag im Lenker zu spüren ist. Und Stürzen muss auch gelernt sein.
 
CX-Sport: Das Comeback: Crossdeutschland ist der Kiefer runtergeklappt, als du in München den Titel geholt hast. Das stellt meines Ermessens alles in den Schatten was es an Comebacks im Radsport   bis dato gab. Ehrlich gesagt hab ich gedacht, Du seist überrundet, als ich Dich zu Beginn der TV-Übertragung in der Spitzengruppe gesehen habe. Wie  war damals deine Vorbereitung?
Klaus-Peter: Ja, das war schon ein Hammer! Als Bundestrainer war ich nicht so erfolgreich, wie der Verband und ich es uns vorgestellt hatten. Da habe ich halt eben nach zwei Jahren Pause wieder mit dem Training begonnen, nachdem mir Dieter Übing bei einer gemeinsamen Ausfahrt sagte, dass ich noch ganz gut in Schuss wäre. Ich wollte eigentlich sportlicher Leiter bei meinem ehemaligen Rennstall Teka werden. Es war geplant, eine zweite Mannschaft für die Rennen in der Schweiz, Belgien, Deutschland etc aufzubauen. Dazu wollte man Pedro Delgado als Kapitän haben. Im Oktober sagte Pedro aber ab und das Projekt war gestorben. Also nahm ich mein Crossrad aus dem Stall.
Ich habe im Dezember wieder die ersten Rennen zum Test gefahren und war direkt unter den ersten 10 in Belgien und Holland. Dann ging ein knüppelhartes Training los. Bis zu 3 Trainingseinheiten am Tag zweimal pro Woche ( morgens zwei Stunden Straße, nachmittags zwei Stunden Cross und abends mit Taschenlampe noch eine Stunde Laufen mit Gymnastik) und zwei Rennen am Wochenende. Bei der DM und WM-Generalprobe noch abgehängt (weil ich voll weitertrainiert hatte), bin ich die letzte Woche vor der WM in München nur noch locker durch den Königsforst gerollt. In München lief dann alles für mich: Die Strecke war technisch schwierig durch Schnee, Eis und Schlamm und hatte viele steile Anstiege und schnelle Abfahrten. Als  schon so gut wie feststand, dass ich ein Medaille gewinnen würde, war ich für einen Augenblick zufrieden und wollte nur noch ankommen. Hatte doch schon alle Zweifler überzeugt! Dann habe ich mich selbst in den Hintern getreten und gesagt: Jetzt fährst Du auch auf Sieg! Ich wusste, wo die Schwächen von van der Pool und Michely lagen und griff vor der schwierigsten Abfahrt an. Das war’s dann. Mit zwei Radlängen Vorsprung konnte ich das Rennen nach Hause fahren. Hat was von „dem Wunder von Bern“. (Anmerkung der Redaktion: stimmt!)
Jetzt habe ich sehr viel dazu geschrieben. Das zeigt, wie mich dieses Comeback heute noch bewegt. Und dass es keine Eintagsfliege war, zeigt der Sieg 2 Jahre später in Mlada Boleslav im Sportseniorenalten von 37.
Autogrammkarte Klaus-Peter Thaler 
CX-Sport: Was rätst du Crosseinsteigern?
Klaus-Peter: Sich mit einem aktuellen Crosser über den Trainingsaufbau zu unterhalten und mal bei Rennen in Belgien oder Holland starten (für Süddeutsche etwas weit. In der Schweiz gibt es ja auch noch einige wenige gute Rennen).
 
CX-Sport: Was können die Vereine tun?
Klaus-Peter: Wenn sie mehre Interessenten am Crossfahren haben, mit denen als Gruppe trainieren (was im Winterhalbjahr wegen des Tageslichts nicht immer einfach ist) und eventuell einen Fachtrainer hinzuziehen.
 
CX-Sport: Sex vor dem Rennen ja oder nein?
Klaus-Peter: Na klar! Fragt sich nur, wann? Nicht gerade noch auf dem Parkplatz vor dem Rennen. Ist aber auch individuell unterschiedlich.
 
CX-Sport: Wie war der Zusammenhalt früher?
Klaus-Peter: Die Crosser waren ein große Familie. Man traf immer wieder bei den großen Rennen aufeinander und konnte jeden gut einschätzen.
 
CX-Sport: Ein paar Worte zum Thema Doping heute- früher?
Klaus-Peter: Das würde den Rahmen dieses Interviews sprengen und außerdem sage ich nichts in der Öffentlichkeit dazu. Nur soviel kann ich sagen, dass die Leistungsbeeinflußung durch Medikamente (verbotene=Doping, nicht verbotene=flankierende Trainingsunterstützung) in den letzten 20 Jahren eine ganz andere Dimension angenommen hat. Und der Grat ist schmal!
 
CX-Sport: Material früher heute... Da hat sich ja einiges getan!? 
Klaus-Peter: Ganz am Anfang Mitte der 60er habe ich ausgenudelte Straßenrahmen verwendet. Die waren schön elastisch. Dann kamen die Rahmen mit höherem Tretlager und angelöteten Mafac-Bremsen, z.B. von Peugeot. Heute sind die Crossräder auf dem gleichen hohen Stand wie die Straßenräder.

CX-Sport: Es gibt mittlerweile Masterrennen. Wann sehen wir dich dort am Start?
Klaus-Peter: Mal schauen, wo es so was in der Nähe gibt. Mit 60 muss ich dann wohl in der Senior Masters 2-3 (oder wie heißt das?) fahren. Wäre mir den Spaß wert!
 
Dieses Interview hat mir besonders Spass gemacht, konnte ich doch einen der Helden meine Kindheit mit meinen Fragen nerven.